1. Wortherkunft
Es ist anzunehmen, dass jeder
eine gewisse Vorstellung von der Bedeutung des Wortes ‚grotesk‘ hat. Dennoch
wissen wahrscheinlich nur wenige von der Herkunft des Wortes selber, seines
Bedeutungsumfanges und den Kategorien – oder den Hauptkriterien – die eine
Zuordnung von Attributen in das semantische Feld des Wortes erleichtern, wenn
nicht gar erlauben. Somit stellt sich zunächst eine Frage: Woher kommt der
Begriff ‚grotesk‘? Wolfgang Kayser legt in seinem Werk Das Groteske – Seine
Gestaltung in Malerei und Dichtung die Herkunft des Wortes folgendermaßen dar:
Das Wort ‚grotesk‘ und seine Entsprechungen in anderen Sprachen sind aus dem
Italienischen übernommen, wo das Wort grottesco (grottenhaft) lautet, welches
eine Ableitung von grotta (Grotte) ist.
Dieser Begriff wurde für eine bisher unbekannte, ornamentale Malerei der
Antike gebraucht, die man gegen Ende des 15. Jahrhunderts bei Ausgrabungen in
Italien, zunächst in Rom, später auch anderswo, fand. Diese Malereien beinhalteten pflanzliche,
tierische und menschliche Elemente, die in ihrer ornamentalen Anordnung
ineinander übergehen, was einige Vermischungen der besagten Elemente nach sich
zieht. Beispielsweise kann es in einer solchen Darstellung vorkommen, dass
Stängel und Ranken Blüten und Früchte tragen, aus denen Tier und
Menschenfiguren spießen, diese sich zu Hybriden und teilweise sogar
Monstrositäten vermischen, oder auf Stängeln und Blättern sitzen, die sie rein
logisch betrachtet nicht tragen könnten. Somit wohnt dieser Ornamentik, die
bereits im 16. Jahrhundert auch in anderen Ländern als Italien als ‚die
Groteske‘ (it. La grottesca) bezeichnet wird, eine gewisse kreative Phantastik
und Kombinationsfreude inne, die Maler inspirierte, und was zu einem gehäuften
Vorkommen der Groteske gerade in der Renaissance führte.
Es wird mit einiger Sicherheit vermutet, dass
sich die Groteske (Vermischung von Tier-, Mensch- und Pflanzenmotivik) sich in
Verbindung mit der Arabeske und Maureske (Ranken und Schnörkel) entwickelt
hat. Durch die gewissermaßen speziellen
Eigenschaften der Groteske, die Vermischung und Verzerrung der in der Natur
anzutreffenden Formen und Gestalten zu einem – oftmals monströs anmutenden –
Ornament, was leicht abstrahiert gesehen die Vermengung der von Menschen
üblicherweise als getrennt angesehener Bereiche der Natur ist, und dem Einfluss
einiger Künstler, wie zum Beispiel Pieter Bruegel der Jüngere (auch
'Höllenbruegel' genannt) und Hieronymus Bosch, tritt im 18. Jahrhundert eine
Erweiterung des Bedeutungsfeldes des Adjektivs ‚grotesk‘ ein, die sich in
einigen Ornamentstichen des 17. Jahrhunderts bereits ankündigt. Somit bezeichnet dieser Begriff einen
Gegenstand nicht mehr einfach nur als einer (ornamentalen) Groteske ähnelnd,
sondern vielmehr, dass dieser manche von den herausstechensten Merkmalen der
Groteske mit ihr teilt, welche vor allem Vermischungen und Verzerrungen
verschiedener Art beinhalten. Viele Theoretiker des Grotesken richten sich, was
die Historie des Begriffs ‚grotesk‘ anbelangt nach der bereits erwähnten
Monographie von Wolfgang Kayser. So auch Michael Steig, der zwar Kaysers
historische Darlegung lobt, aber auch kritisiert, dass Kayser die
psychologischen Implikationen des Grotesken vernachlässigt, und dessen Ursprung
nicht im Menschen selbst lokalisiert.
2. Bedeutungen des Begriffes
Besagte, oben bereits erwähnte,
Bedeutungserweiterung hat zur Folge, dass der Begriff ‚grotesk‘ heute ein
schwer überschaubares und weites Feld umspannt. Das hat unter anderem dazu
geführt, dass sich das Substantiv ‚Groteske‘ aufgespalten hat in ‚die
Groteske,‘ was die oben beschriebene Ornamentik ist, und ‚das Groteske‘, was
sich in der Bedeutungserweiterung des Adjektivs ‚grotesk‘ begründet. Somit stellt sich zum Verständnis des
Begriffes nun folgende Frage: Was ist grotesk, beziehungsweise, was kann
grotesk alles bedeuten? Der zweite Teil der Frage ist deswegen zu stellen, weil
der erste zunächst suggeriert, dass es eine einzelne Antwort darauf geben kann.
Beispielsweise steht in der aktuellen Ausgabe des Deutschen
Universalwörterbuches zur Erklärung des Begriffes ‚grotesk‘ folgendes: „[Das
Adjektiv ‚grotesk‘ bedeutet] durch eine starke Übersteigerung od[er] Verzerrung
absonderlich übertrieben, lächerlich wirkend.“
Es ist deutlich ersichtlich, dass das Wörterbuch nur einen begrenzten
Teil der möglichen Bedeutungen des Wortes selbst ausdrückt, denn einige der
speziellen Merkmale der Groteske, wie die Vermischung sind nicht enthalten. Um
noch einmal die Weite des Bedeutungsfeldes aufzuzeigen, soll hier noch einmal
Wolfgang Kayser zitiert werden: „Wir haben, solange wir unwissend sind, ein
Recht dazu, das Wort ‚grotesk‘ zu verwenden.“
Mit diesem Satz will Kayser andeuten, dass generell alles dem Menschen
fremde zunächst einmal die Tendenz hat, für diesen grotesk zu sein, da er
sozusagen zwischen Verwirrung, Misstrauen, Neugier, und später schließlich
Gewöhnung steht. Fremdes erzeugt häufig widerstreitende Gefühle im Rezipienten,
und genauso verhält es sich im Besonderen mit dem Grotesken. Tod und Trauer in
Verbindung mit Lächerlichkeit oder Freudengewinn an totem (Morbidität) sind
hierfür gute Beispiele. Was groteske Darstellungen oft erzeugen, ist eine
Mischung aus Belustigung und Ekel.
"Mein gebrochenes Herz"
Das zeigt sich beispielsweise bei
Zeichnungen von Jacques Callot, der Anfang des 17. Jahrhunderts Radierungen von
deformierten Zwergen und Charakteren der Commedia dell’arte, die gleichzeitig
hässlich, verformt, aber auch lächerlich und geradezu burlesk wirken. Michael Steig verweist in Verbindung mit
dieser Eigenschaft des Grotesken auf John Ruskin und Lee Byron Jennings, und
legt deren Thesen folgendermaßen dar, dass groteske Objekte generell eine
Kombination aus furchterregenden und zum Lachen reizenden Eigenschaften zeigt.
Dies sei auch der Schlüssel zum Verständnis des Grotesken, der einen
'entwaffnenden Mechanismus' bei dieser Art von Lachen im Angesicht des
Schreckens aufdeckt. Allerdings gebe es
auch eine Art Umkehrung dieses Prinzips, welche dann, anstatt das Gefühl der
Belustigung angesichts des Schrecklichen, eine durch übersteigerte Komik
ausgelöste Angst sei. Also kann man
sagen, dass Dinge, auf die man mit einer Diskrepanz an Gefühlen wie beispielsweise Angst, Belustigung, Ekel,
Schadenfreude, Ergötzen und Abscheu reagiert, als grotesk bezeichnen kann. Zwei
Formen des Humors, die sich diesen Mechanismus des Grotesken zunutze machen,
ist zum einen die Karikatur, zum anderen der 'vernichtende Humor', der bei Jean
Paul anzutreffen ist. Beide haben als
Ziel die Gesellschaft und die bestehende Ordnung zu kontrastieren, ins
Lächerliche zu ziehen und auch zu kritisieren. Sie heben durch ihre groteske
Verzerrung die üblichen Gesetzmäßigkeiten auf, und eröffnen, wie alle Grotesken
einen neue, entfremdete Welt. Das wirkt
sich dergestalt aus, dass das Groteske als eine Art Gegenbewegung gesehen
werden kann, die kulturelle Konventionen infrage stellt und durch verschiedene
Deviationen sozusagen eine Wahrnehmungserschütterung herbeiführt. Gerade in der
Moderne wird laut Wolfgang Kayser über groteske Texte Kritik an der Sprache
geübt und eine Fragwürdigkeit der Sprache konstatiert. Das Groteske ist vielfältig genug, um als
eigene ästhetische Kategorie zu zählen, für die es eigene gestalterische
Hauptkriterien braucht.
Peter Fuß nennt in seinem Buch Das Groteske als Medium
des Kulturellen Wandels drei anamorphotische Mechanismen als Hauptmerkmale für
das Groteske: Der erste der drei Mechanismen wäre die Verkehrung, welche laut
Fuß, die geringste Verfremdung des Objekts nach sich zieht, aber dennoch die
Degradierung von hohen Prinzipien wie Gott oder Heiligkeit zu etwas Profanem
einschließt, was heißt, dass hier eine hierarchische Umverteilung stattfinden
kann. Der zweite Mechanismus ist die
Verzerrung, was heißt, dass es bei diesem Mechanismus darum geht, die Form an
sich zu verziehen, deformieren oder anderweitig ins Groteske zu verändern,
während ein spezielles Beispiel für diese Form der Anamorphose Monstrosität und
Verkrüppelung wäre. Der dritte
Mechanismus der Anamorphose wäre die Vermischung, welche die radikalsten
Veränderungen am Objekt herbeiführt und beispielsweise das Tierische mit dem
Menschlichen vermischt und so das Chimärische hervorbringt. Letzteres ist von den drei genannten
Kategorien das, welches am nächsten an die ursprüngliche Ornamentalgroteske
heranreicht. Es ist auch möglich, dass alle drei Mechanismen gesammelt
auftreten. Selbstverständlich ist damit das Repertoire des Grotesken nicht
erschöpft, aber es ist bereits überaus hilfreich, diese Kategorien zur Hand zu
haben um entsprechend groteske Darstellungen einzuordnen und zu analysieren.
Das Problem, das sich beim Abstecken des semantischen Feldes des Wortes
'grotesk' zeigt, ist, wie bereits erwähnt, dass eben jenes Feld eine
unüberschaubare Bandbreite an Bedeutungen beinhaltet. Dies führt dazu, dass,
wird der Blick darauf gelenkt, es deutlich mehr groteske Elemente in Literatur
und Malerei zu entdecken gibt, als es im Allgemeinen oft angenommen wird.
Literature:
• Fuß, Peter. Das Groteske: ein
Medium des kulturellen Wandels. Köln: Böhlau Verlag GmbH & Cie, 2001
• Kayser, Wolfgang. Das
Groteske – Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung (1957). Tübingen:
Stauffenberg Verlag Brigitte Narr GmbH, 2004.
• Steig, Michael. „Zur
Definition des Grotesken: Versuch einer Synthese (1970).“ in: Otto F. Best
(Hrsg.). Das Groteske in der Dichtung. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft, 1980